So gelingt Inklusion: Wie Unternehmen und Talente zusammenkommen

Auch im Jahr 2022 ist die Inklusion auf dem deutschen Arbeitsmarkt noch nicht so weit, wie sie sein könnte. Zwar ist die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung laut dem Inklusionsbarometer Arbeit 2021 der Aktion Mensch in Deutschland im vergangenen Jahr von 180.000 auf rund 166.500 gesunken, im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 sind jedoch wieder 13.000 Arbeitssuchende hinzugekommen. Einer der Gründe für dieses „schwarze Loch“, wie Raul Krauthausen, Aktivist für soziale Projekte es nennt, ist, dass Unternehmen und Bewerber:innen nicht zusammenkommen. Denn dem Großteil der Unternehmen fehlt es nicht an Motivation, ihre Betriebe inklusiver zu machen, sondern vielmehr an einer umsetzbaren Strategie. Damit Arbeitgeber:innen ihren Weg zu mehr Inklusion finden und Talente mit Behinderungen engagieren können, haben Nils Dreyer und sein Team in Zusammenarbeit mit dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) 2021 das Projekt Inklupreneur ins Leben gerufen. Zunächst als Programm für Berliner Startups gedacht, wurde Inklupreneur bald schon deutschlandweit für jede Unternehmensgröße aktiv. Seit dem Start der ersten Kohorte, die das Projekt betreut, haben sie neue Inklusionswege für Unternehmen geebnet und dabei viele Akteure zusammenbringen können. Nils Dreyer gibt die Erfahrung seines Teams weiter und erklärt, mit welchen Schritten Betriebe ihren Wunsch nach mehr Inklusion in die Tat umsetzen können.

Nils, Projektleiter von Inklupreneur

Job Carving und diverses Employer Branding fördern Inklusion im Unternehmen. | Quelle: Andi Weiland auf Gesellschaftsbilder.de

Warum und wie Sie inklusive Stellen schaffen

Unternehmen in Deutschland, die mehr als 20 Beschäftigte haben, sind gesetzlich dazu verpflichtet, fünf Prozent ihrer Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Wird dies nicht erfüllt, fallen Ausgleichsabgaben von mehreren tausend Euro pro Jahr und Arbeitsplatz an. Doch sollte dies nicht nur ein finanzieller Anreiz sein. Auch kann dem Fachkräftemangel durch die Anstellung ausgebildeter Arbeitssuchenden mit Behinderung erheblich entgegengewirkt werden. Denn gerade in der Start-up-Szene herrscht derzeit Bedarf an Personal, welcher in großen Teilen abgedeckt werden könnte. Falls eine Firma jedoch aus fachspezifischen Gründen keine geeignete Position für ein Talent mit einer bestimmten Behinderung finden kann, bietet das sogenannte „Job Carving“ eine gute Lösung. Hierbei werden aktiv Stellen für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder geistigen Behinderungen im Unternehmen „geschnitzt“. Das heißt, dass aus vielen kleinen Aufgaben verschiedener Bereiche eine größere Stelle entsteht und der erste Schritt zu mehr Inklusion getan ist.

Der erste Eindruck: Was beim Bewerbungsgespräch zu beachten ist

Bei einem Kennenlernen sollte vor allem eines im Mittelpunkt stehen: individuelle Talente. Es geht nicht nur darum, eine Stelle für Menschen mit Behinderung zu suchen, sondern vielmehr darum, die Qualitäten seines Gegenübers zu erkennen und eine Kompatibilität einzuschätzen. Übrigens ist dies generell immer eine gute Idee. Mitarbeitende anhand gleicher Werte und passender Chemie auszuwählen, bildet die Basis für harmonische Zusammenarbeit. Wer anschließend noch eine Stelle speziell für sie schafft, kann nur gewinnen. Je ehrlicher bei Unsicherheiten im Gespräch mit Bewerber:innen mit Beeinträchtigung umgegangen wird, desto wahrscheinlicher ist es für beide Parteien, die Zusammenarbeit richtig einzuschätzen. Der offene Dialog muss also an erster Stelle stehen. Dabei sollte der Fokus nicht auf der Behinderung, sondern vielmehr auf den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und Möglichkeiten des Betriebs liegen.

Diverses Employer Branding: So kommunizieren Sie Ihre Offenheit nach außen

Inklusion beginnt nicht erst bei der Jobanzeige, sondern spielt auch schon vorher eine große Rolle. In erster Linie ist es dabei wichtig, dass Firmen neben einem Geschäftsmodell auch ein Wirkungsmodell, also eine soziale Verantwortung anstreben und kommunizieren. Hierfür ist es essenziell, dass die firmeninterne Bereitschaft zur Inklusion authentisch nach außen getragen wird, um den Bewerber:innen einen barrierefreien Zugang zu ermöglichen. Der Auftritt eines Unternehmens ist für Menschen mit Behinderung ein wichtiger Indikator, um den Schritt zum Bewerbungsprozess zu wagen. Hier nehmen beispielsweise Beiträge zu Diversitätsthemen auf der Homepage oder den Social-Media-Kanälen die Hemmung zur Kontaktaufnahme. Auch sollte das Unternehmen einen internen Ansprechpartner für Inklusionsbelange festlegen und nach außen kommunizieren. Eine Bestärkung zur Initiativbewerbung kann die Hürde für eine Bewerbung hinzukommend verringern.

Immer noch nichts passiert? Holen Sie sich kostenfreie Unterstützung

Menschen mit Behinderung haben leider wahrscheinlich schon negative Erfahrungen in Bewerbungsverfahren machen müssen. Daher ist es wichtig auf den Wunsch nach mehr Inklusion im Unternehmen aufmerksam zu machen. Um proaktiv mit möglichen Arbeitnehmer:innen mit Behinderung in Kontakt zu treten, gibt es für Firmen mehrere Optionen. Eine Möglichkeit ist die Zusammenarbeit mit Berufsbildungswerken und -einrichtungen. Diese Stellen organisieren und unterstützen Menschen mit Beeinträchtigung darin, duale Ausbildungen und Praktika zu absolvieren oder bei Probearbeiten potenzielle Arbeitgeber:innen kennenzulernen. Das kann jede Firma schnell und ohne großen Aufwand umsetzen. Des Weiteren sollten die Augen nach Veranstaltungen von Vereinen wie Sozialheldinnen e.V. oder Verbänden wie der Bundesarbeitsgemeinschaft Berufsbildungswerke offengehalten werden. Diese bieten eine optimale Gelegenheit sich unverbindlich kennenzulernen. Auch das lokale Jobcenter der Agentur für Arbeit ist eine gute Anlaufstelle für Unternehmen, um aktiv an Inklusionsprogrammen teilzunehmen. Außerdem beschäftigt jedes Bundesland eigene Landesbehindertenbeauftragte, welche als Ansprechpartner:innen im Bereich Inklusion zur Verfügung stehen.

Fazit: Inklusiver kann jede:r

Es gibt viele Möglichkeiten für Unternehmen, sich noch inklusiver aufzustellen. Nur durch Wissensvermittlung und persönliche Teilhabe-Erfahrungen können wir gemeinsam Ängste und Vorurteile langfristig abbauen. So produzieren wir replizierbare Erfolgsgeschichten und schaffen die Basis für mehr nachhaltige Inklusion auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Über den Autor: Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Hilfswerft gGmbH und Projektleiter von Inklupreneur. Nils Dreyer ist Serien-Gründer und Wirkungs-Investor. Aufgewachsen auf einem Bauernhof im Wendland, zählte der ausgebildete Bankkaufmann zu den ersten Internetunternehmern aus der Generation X. Der persönliche Umbruch kam mit der Erkenntnis, dass es nicht nur Geld braucht, um auch langfristig glücklich zu sein. Ende 2014 gründet er deshalb die Hilfswerft gGmbH in Bremen. Als geschäftsführender Gesellschafter verfolgt er das Ziel, gesellschaftliches Unternehmertum (Social Entrepreneurship) deutschlandweit zu verbreiten.