Dieser Beitrag ist zuerst bei JOBinklusive.org erschienen und wurde im Rahmen unserer Kooperation für den Inklupreneur-Blog übernommen.
Deutschlands Arbeitsmarkt hat ein großes Problem. Es fehlen die Minderheiten. Das ist unternehmerisch nicht schlau. Hier sind sieben Tipps, wie Unternehmen Bewerber*innen mit Behinderung finden. Ein inklusiver Anfang muss nicht schwer sein.
Wer in Deutschland einer Minderheit angehört, ist automatisch mit schlechteren Berufschancen konfrontiert: sei es wegen des Geschlechts, der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung, einer Behinderung oder anderen minderheitsspezifischen Merkmalen. Dabei steht „Diversität“ mittlerweile bei sehr vielen Unternehmen auf der Agenda. Leider bleiben die Unternehmen jedoch viel zu oft bei ihren guten Vorsätzen und setzen Diversität noch nicht als Kernprinzip der Unternehmensführung um. Gerade die Dimension Behinderung wird oft vergessen.
Wenn wir mit Unternehmen sprechen, hören wir oft: Wir würden ja gern mehr Leute mit Behinderungen einstellen, aber die bewerben sich nicht bei uns. Wir ermutigen die Unternehmensvertreter*innen dann, es nicht bei dieser Feststellung zu belassen, sondern zu überlegen, warum das so ist. Denn, wenn das Problem nur bei den Menschen gesehen wird, die “sich nicht bewerben”, erkennen die Entscheidungsträger*innen in Unternehmen nicht, was sie selber mit dem Problem zu tun haben, dass Minderheiten in der Wirtschaftswelt unterrepräsentiert sind.
In jedem auch kleinen, Unternehmen, gibt es Tätigkeiten, die Menschen mit Behinderungen ausüben können. Ihre Kompetenzen sind so vielfältig wie sie selbst. Darüber hinaus sind arbeitslose behinderte Menschen oft qualifizierter als Arbeitssuchende ohne Behinderung. Viele Firmen können sich die derzeitige Schnelllebigkeit in der Personalpolitik nicht mehr leisten. Haben Menschen mit Behinderung erstmal einen Betrieb gefunden, dann sind sie sehr loyal gegenüber ihren Arbeitgeber*innen. Außerdem haben Menschen mit Behinderung oft ausgeprägte Soft Skills. Sie finden innovative Lösungsansätze oder bringen Organisationstalente mit, die sie in der barrierevollen Umwelt entwickeln mussten. Ausschlaggebend dafür, ob sich ein Mensch mit Behinderung für ein Unternehmen entscheidet, ist häufiger das Betriebsklima als die Bezahlung.
Wichtig ist, nicht in gängige Klischees und Bilder von Menschen mit Behinderungen zu verfallen. Menschen mit Behinderungen haben vielfältige Fähigkeiten, die sie in den verschiedensten Berufen einbringen können. Zum Beispiel können Autist*innen nicht nur für IT-Unternehmen oder die Streitkräfte arbeiten, um mit einem fotografischen Gedächtnis Satellitenbilder auszuwerten. Menschen im Rollstuhl können viel mehr als nur in einem Büro zu arbeiten und blinde Menschen werden nicht nur medizinische Masseur*innen. Eine Möglichkeit wäre auch zu schauen, ob neue Stellenprofile im Unternehmen speziell für Menschen mit Lernschwierigkeiten geschaffen werden können. Beim sogenannten Job Carving werden z.B. einfache oder routinemäßige Tätigkeiten aus anderen, schon vorhandenen Stellenprofilen im Unternehmen “geschnitzt”. Die gebündelten Tätigkeiten können dann eine neue Stelle für einen Menschen mit Lernschwierigkeiten ergeben. Gleichzeitig werden andere Fachkräfte dadurch entlastet. Wenn nicht starr an Abschlüssen oder Qualifizierungen als Voraussetzung für eine Stelle festgehalten wird, ist auch viel möglich. Denn die meisten Menschen lernen sowieso erst das wichtigste “on the job”. Wieviele Menschen arbeiten heute schon exakt in dem Bereich oder nach den Inhalten, die sie in Studium oder Ausbildung gelernt haben?
Talente gibt es überall, aber sie befinden sich nicht immer entlang der üblichen, oft fest eingefahrenen Wege des Recruiting-Prozesses. Um diese unentdeckten Talente für ein Unternehmen zu finden, müssen sich dessen Entscheidungsträger*innen folgende Fragen stellen:
- Warum bewerben sich nicht genügend Menschen mit Behinderungen?
- Sucht das Unternehmen aktiv und gezielt nach Menschen mit Behinderungen?
- Gibt es im Auswahlprozess Ausschlusskriterien, die Menschen mit Behinderungen benachteiligen?
- Macht es sich das Unternehmen zur Pflicht, qualifizierte Bewerber*innen aus unterrepräsentierten Minderheiten zu einem Gespräch einzuladen, bevor nichtdiverse Kandidat*innen eingeladen werden?
- Setzt sich das Unternehmen aktiv mit den unbewussten Vorurteilen und Berührungsängsten seiner Einstellenden auseinander?
- Schafft das Unternehmen ein Klima, das alle einschließt?
- Gibt es im Unternehmen Möglichkeiten, Diskriminierungen zu melden, ohne Angst vor negativen Folgen?
Wenn an diesen Themen ehrlich gearbeitet wird, dann tut das Unternehmen nicht nur etwas für mehr Gerechtigkeit in der Welt, sondern auch für das Unternehmen selber. Denn das Unternehmen profitiert von diversem Talent und nutzt wichtige Ressourcen. In der Beantwortung der folgenden Fragen machen Arbeitgeber*innen neue Erfahrungen und betreten unbekanntes Terrain. Es lohnt sich, damit jetzt anzufangen!
1. Warum bewerben sich nicht genügend Menschen mit Behinderungen?
Unser Gehirn bevorzugt es, Menschen in Kategorien zu stecken. Das macht das Leben einfacher und hat uns in der Steinzeit vor Gefahren bewahrt. Doch mittlerweile wissen wir, dass Menschen mit vielfältigen Hintergründen und Erfahrungen keine Gefahr bedeuten. Im Unternehmen ist Vielfalt sogar wichtig für dessen Erfolg und die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen. Das belegen viele Studien.
Die Arbeit von Leidmedien.de, den Neuen Medienmacher*innen und anderen Organisationen zeigt, dass zum Beispiel Medienhäuser, die aktiv Journalist*innen mit diversen Biografien suchen und einstellen, davon profitieren. Denn Redaktionen, in denen Menschen mit Behinderungen arbeiten, haben vermehrte Einblickschancen in die Lebensrealität dieser Personengruppe.
Sie verfügen über andere Netzwerke und gelangen so an mehr Informationen, die die Arbeit besser machen. Das wiederum führt zu Wettbewerbsvorteilen sowie gesteigerten Umsatzmöglichkeiten. Hausintern gibt es dann Mitarbeiter*innen, die sich mit geeigneter Wortwahl und Bildsprache auskennen und die Gefahr, klischeehaft zu berichten, reduzieren. Dieses Beispiel lässt sich auf jede andere Branche übertragen.
Doch unreflektierte Vorurteile sorgen dafür, dass Vorgesetzte in der Regel Leute einstellen, die so sind wie sie. Da in Führungspositionen immer noch überwiegend weiße, heterosexuelle, nicht behinderte Männer sitzen, erhalten überwiegend auch solche Männer weiterhin Führungspositionen – bewusst oder unbewusst.
Im Fall von Menschen mit Behinderung ist die Konsequenz von unreflektierten Vorurteilen besonders auffallend. Menschen mit und ohne Behinderungen lernen, arbeiten und leben meistens in unterschiedlichen Lebenswelten und lernen sich selten richtig kennen. Trotz diverser wissenschaftlicher Studien und der Kritik der UN halten wir in Deutschland an einem exklusiven Bildungssystem und Arbeitsmarkt fest. Förderschulen tragen nicht ausreichend zur gesellschaftlichen Teilhabe und Berufsqualifizierung von ihren Schüler*innen bei. Das führt dazu, dass viele Menschen mit Behinderungen die Schule ohne einen Abschluss verlassen und ihnen dann als einzige Option Werkstätten für behinderte Menschen zur Auswahl stehen. Unter anderem wegen ihrer schlechten Bildungschancen sind nur 30 % der Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert.
Wer einmal in einem Sondersystem für Menschen mit Behinderungen ist, kommt da nur sehr, sehr selten wieder raus. Deshalb braucht es Qualifizierungen für Menschen mit Behinderungen in der realen Arbeitswelt: In Unternehmen, um dort Tätigkeiten und ein kollegiales Miteinander zu lernen und damit Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhalten.
2. Sucht das Unternehmen aktiv und gezielt nach Menschen mit Behinderung?
Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig, sich die bisherigen Recruiting-Prozesse anzusehen und diese zu reflektieren. Wenn Unternehmen bereits gezielt nach Menschen mit Behinderungen suchen, sind sie schon mal auf einem guten Weg. Tun sie dies noch nicht, dann ist es jetzt Zeit, daran etwas zu ändern. Zunächst sollten Unternehmer*innen und Personaler*innen sich fragen, warum sie das bisher noch nicht getan haben. Es ist wichtig, die Gründe dafür zu reflektieren. Arbeitgeber*innen sagen uns beispielsweise oft, dass sie nicht wissen, wie und wo sie nach Bewerber*innen suchen können.
In Zeiten des Internets sind viele Menschen mit Behinderungen überall dort unterwegs, wo auch Bewerber*innen ohne Behinderung sind. D.h. sie suchen auch auf allen gängigen Jobplattformen nach Jobs. Aber auch spezielle, auf Menschen mit Behinderung gezielte, Plattformen wie myability.jobs, bieten eine Möglichkeit behinderte Bewerber*innen zu finden. Es zeigt sich jedoch, dass viele behinderte Menschen Stellenausschreibungen für sich gar nicht in Betracht ziehen, wenn nicht explizit erwähnt wird, dass das Unternehmen auch Menschen mit Behinderungen sucht. Deshalb ist es wichtig, Stellenausschreibungen so zu schreiben, dass sich Menschen mit Behinderungen angesprochen und willkommen fühlen. Zum Beispiel, in dem darauf hingewiesen wird, dass Bewerbungen von Menschen mit Behinderung ausdrücklich erwünscht sind. Eine Floskel reicht hier nicht. Ganz im Gegenteil: Der Standardsatz “Bei gleicher Eignung werden behinderte Menschen bevorzugt”, wird eher als nicht ernst gemeinte Formulierung verstanden. Das Unternehmen sollte sich stattdessen offen zeigen und transparent darstellen, wie es sich Gedanken macht. Individuelle Formulierungen wirken dabei authentischer. In vielen Unternehmen gibt es bereits Formulierungen, die andere Vielfaltsmerkmale, wie sexuelle Orientierung und Internationalität, begrüßen. Behinderung wird dabei oft vergessen. Vielleicht braucht es da nur eine kleine Ergänzung. Wichtig ist auch, die genauen Tätigkeiten des Jobs und die dafür notwendigen Kompetenzen so konkret wie möglich zu beschreiben. Oft werden in Stellenausschreibungen eine Vielzahl von Fähigkeiten verlangt, die für den konkreten Job gar nicht wichtig sind, die aber eine ganze Reihe von Bewerber*innen ausschließen. Es erklärt sich von selbst, dass jegliche Formulierungen zu vermeiden sind, die gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder das Benachteiligungsverbot des Schwerbehindertenrechts (§ 164 SGB IX) verstoßen.
Besonders wichtig für Menschen mit Behinderung ist die Barrierefreiheit eines Unternehmens. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, in Stellenangeboten stets Angaben zur Barrierefreiheit zu machen.
- Hat das Unternehmen einen Aufzug?
- Gibt es eine barrierefreie Toilette?
- Wenn nicht, was ist das Unternehmen bereit zu verändern?
Da Barrierefreiheit aber nicht nur Rollstuhlfahrende betrifft, können auch andere Aspekte, wie Licht und Akustik oder barrierefreie Software, wichtig sein für manche Menschen mit anderen Behinderungen. Welche gesundheitsfördernden und familiengerechten Möglichkeiten bietet das Unternehmen schon? Oftmals sind solche Maßnahmen, wie zum Beispiel flexible Arbeitszeiten und Orte, für Menschen mit Behinderung auch sehr hilfreich. Da individuelle Behinderungen so unterschiedlich sind, ist es fast unmöglich, alle Fragen, die Menschen mit Behinderung haben, in einer Stellenausschreibung zu beantworten. Hilfreich kann deshalb eine konkrete Ansprechperson im Unternehmen sein, die für Fragen zu Inklusion und Barrierefreiheit zur Verfügung steht und Bewerber*innen bei Schwierigkeiten unterstützt. Diese sollte gemäß dem 2-Sinne-Prinzips nicht nur schriftlich erreichbar sein, sondern z.B. auch telefonisch.
Auch die Bildsprache, die ein Unternehmen benutzt, beeinflusst, ob sich Menschen mit Behinderungen angesprochen fühlen. Mit Fotos lässt sich zeigen, wie Inklusion im Unternehmen bereits gelebt wird. Versuchen Sie, Klischees zu umgehen, indem Bilder genutzt werden, wo behinderte Menschen aktiv statt passiv gezeigt werden. Fotos sollten immer auf Augenhöhe gemacht werden, wie die der Fotodatenbank gesellschaftsbilder.de. Sie sollten authentische Situationen und Models mit Behinderung zeigen. Für viele Stockbilder werden zum Beispiel nicht behinderte Personen in veraltete Rollstühle gesetzt. Ein geschultes Auge erkennt schnell, dass das kein authentisches Bild ist. Zur Überprüfung kann man sich selbst die Frage stellen: Will ich selbst so dargestellt werden? Weitere Informationen dazu sind in der Broschüre “Auf Augenhöhe” nachzulesen.
Auch wenn die Stellenausschreibungen einladend formuliert und bebildert sind, kann die Bewerbung von behinderten Menschen dennoch am nicht barrierefreien Internet scheitern. Wichtig ist es, Jobs auf barrierefreien Plattformen zu veröffentlichen und dass die eigene Job-Page zugänglich ist. Für einen ersten Eindruck kann man einen automatischen Test der Seite laufen lassen, z.B. auf https://web.dev oder https://wave.webaim.org/. Sofern Stellenausschreibungen als PDF zur Verfügung stehen, ist darauf zu achten, dass dieses in einem barrierefreiem Format ist.
Es lohnt sich darüber hinaus mit Initiativen und Projekten zu vernetzen, die Menschen mit Behinderung ganz konkret dabei unterstützen, inklusiv auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten.
Projekte, die Menschen mit Behinderung im Bereich Arbeit unterstützen (redaktionelle Empfehlung):
- myAbility
- iXNet
- Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben
- Access – Inklusion im Arbeitsleben
- Berufsbildungswerken
- BIS e. V. Netzwerk für betriebliche Integration
- Hamburger Arbeitsassistenz
- Andere Leistungsanbieter
- u. v. m.
3. Gibt es im Auswahlprozess Ausschlusskriterien, die Menschen mit Behinderungen benachteiligen?
Viele gut qualifizierte Menschen mit Behinderung berichten, dass sie sich zwar weitläufig bewerben, doch nie zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden. Gleichzeitig berichten Personaler*innen, dass keine behinderten Personen bei ihnen in die engere Auswahl kommen. Um zu verstehen, warum das so ist, ist es wichtig, die Recruiting-Prozesse intern genau zu überprüfen. Gibt es dort Hürden, die Menschen mit Behinderungen z. B. aufgrund von Lücken oder Fehlzeiten im Lebenslauf ausschließen? Es ist nichts ungewöhnliches, dass behinderte Menschen z. B. aufgrund zeitintensiver Therapien und einer längeren Krankheit mal ein Jahr länger zur Schule gegangen sind oder ihr Studium nicht in der Regelstudienzeit geschafft haben. Das ist oft ein Ausschlusskriterium. Es zeigt aber eigentlich nur, dass unsere Welt noch voller Barrieren ist und das die Person trotz allem an ihrem Ziel, einen Abschluss zu erreichen, festgehalten hat. So lassen sich Unternehmen also möglicherweise eine*n Mitarbeiter*in mit viel Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit – wichtigen Soft Skills in jedem Job – entgehen.
Rechtschreibfehler in Bewerbungen gelten noch heute als absolutes No Go. Doch was ist, wenn die Person eine Leserechtschreibschwäche hat und sie sonst qualifiziert ist? Es geht nicht darum, dass alle Bewerber*innen eingeladen werden, die eine fehlerhafte Bewerbung abgeben. Aber nicht jede Stelle erfordert perfekte Rechtschreibfähigkeiten. Wichtig ist ein offener Umgang und ggf. Möglichkeiten der Kompensation zu entwickeln. Es macht also Sinn, unter bestimmten Umständen eine Ausnahme zu machen und nicht an rigiden Einstellungskriterien festzuhalten. Dafür ist es ratsam, sich mit Behinderungen, deren Barrieren und Unterstützungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen. Entwickeln Sie Prozesse, unter welchen Umständen vielleicht Ausnahmen in Betracht kommen. Diese Ausnahmen kann dann auch ein Algorithmus lernen. Apple beispielsweise leitet die Bewerbungen von behinderten Menschen mit bestimmten Schlagwörtern generell an eine gesonderte Abteilung, die dann die Bewerber*innen unterstützt und bei Fragen zur Verfügung steht.
4. Macht es sich das Unternehmen zur Pflicht, qualifizierte Bewerber*innen aus unterrepräsentierten Minderheiten zu einem Gespräch einzuladen, bevor nichtdiverse Kandidat*innen eingeladen werden?
Das klingt vielleicht erstmal absurd, weil unser Bewerbungssystem auf Qualifizierung beruht. Doch mit dem Wissen, dass viele Angehörige von Minderheiten strukturell benachteiligt sind, das heißt schlechtere Bildungschancen und Qualifizierungen haben, macht ein Umdenken Sinn. Wenn benachteiligte Personen nie die Chance bekommen, irgendwo ihre Potentiale zu zeigen und durch Herausforderungen zu wachsen, kommen wir nie aus dieser Spirale heraus. Es lohnt sich also, innovativ im Sinne von Diversität und Inklusion zu denken und zu handeln und über eine bevorzugte Einladung nachzudenken. Dadurch bekommt das Unternehmen überhaupt erst die Chance, qualifizierte Mitarbeiter*innen zu finden, die nicht in ein Schema F passen. Wenn es kein erfolgreiches Gespräch wird, kann immer noch auf andere Kandidat*innen zurückgegriffen werden und außer etwas Zeit für das Gespräch ist nichts verloren. Auch neue Wege fernab einer schriftlichen Bewerbung oder eines Lebenslaufs können die Hürden für Menschen mit Behinderungen senken. Wenn es zu einem Bewerbungsgespräch mit einem Menschen mit Behinderung kommt, muss an verschiedene Aspekte der Barrierefreiheit gedacht werden: Ist der Raum mit dem Rollstuhl erreichbar? Braucht es Gebärdensprachdolmetschende? Kann eine blinde Person am Empfang/Bahnhof abgeholt werden?
5. Setzt sich das Unternehmen aktiv mit den unbewussten Vorurteilen und Berührungsängste seiner Einstellenden auseinander?
Wir alle haben Vorurteile. Wir erlernen diese bereits in unserer Kindheit und sie werden durch die Gesellschaft weitergetragen. Bestimmte Vorurteile und Stereotype, die wir gegenüber Menschen mit Behinderungen haben, sind seit vielen Jahren in unserer Gesellschaft verankert. Manche dieser Vorurteile – und unser daraus resultierendes Verhalten – sind uns bewusst und wir versuchen, dieses Verhalten zu verändern. Viele Vorurteile sind uns jedoch nicht bewusst. Zum Beispiel assoziieren viele Menschen unbewußt eine kräftige Stimme oder Körpergröße mit Führungsqualitäten. Aber mit Fakten und einer aktiven Auseinandersetzung mit unseren Vorurteilen können wir diese erkennen und ihnen entgegenwirken. Um Menschen mit Behinderung gleichberechtigte Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geben zu können, ist es wichtig, dass sich Unternehmen, und insbesondere die Personalverantwortlichen, mit diesen Vorurteilen auseinandersetzen. Denn längst nicht alle Menschen mit Behinderung sind sympathisch, aber inkompetent. Mit Schulungen und Workshops kann diesen unbewussten Vorurteilen entgegengewirkt werden.
6. Schafft das Unternehmen ein Klima, das alle einschließt?
Wenn ein Mensch mit Behinderung es in ein Unternehmen geschafft haben, dürfen die Bemühungen um Inklusion nicht aufhören. Studien zeigen, dass das Klima und die Offenheit der Kolleg*innen oft ausschlaggebender für den beruflichen Erfolg von Menschen mit Behinderung sind, als der Job an sich. Es ist sinnvoll, kein großes Bohei darum zu machen, dass nun ein Mensch mit Behinderung ins Unternehmen kommt, um nicht erst Ängste und Vorurteile heraufzubeschwören.
Aber die zukünftigen Kolleg*innen mit ihren bestehenden Vorurteilen müssen natürlich auch begleitet werden. Je positiver und gelassener die Führungsebene der Anstellung einer behinderten Person gegenübersteht, umso mehr werden es auch die Kolleg*innen so sehen.
Berührungsängste sind anfangs normal. Menschen mit Behinderung sind dies häufig gewohnt und haben eigene Strategien im Umgang damit entwickelt. In der Regel geben sie daher vorab Auskunft, über was sie sich von den Kolleg*innen wünschen oder von ihnen brauchen. Das kann dann wiederum gut im Team angesprochen werden. Wichtig ist, dass nicht über Menschen mit Behinderung gesprochen wird, sondern mit ihnen.
Deshalb sollten Menschen mit Behinderungen sich selbst vorstellen und ggf. benötigte Handreichungen oder Begleitung, Unterstützung bei Wegen im Unternehmen, den Umgang mit Persönlicher Assistenz usw. benennen. Gleichzeitig ist es wichtig, gut zuzuhören, was die Kolleg*innen bewegt und sich Strategien zu überlegen, wie Bedenken und Ängste ggf. abgebaut werden können.
Oft muss der Arbeitsplatz noch barrierefrei eingerichtet oder andere Dinge organisiert werden. Wenn eine zusätzliche Finanzierung oder Unterstützung bei einer Behörde benötigt wird, kann es dauern bis die Bewilligung da ist. Es lohnt sich, diesen Weg mit dem behinderten Menschen gemeinsam zu gehen. Dabei ist es wichtig, am Ball zu bleiben und als Unternehmen regelmäßig bei den Behörden nachzufragen. Oft werden für die Beantragung solcher Gelder oder Hilfsmittel bestimmte Dokumente gebraucht, die der*dem behinderten Mitarbeiter*in zügig zur Verfügung gestellt werden sollten. Denn im schlimmsten Fall ist die Person nicht voll einsatzfähig, bis alles mit den Behörden geregelt ist.
Übrigens: Behörden sind gesetzlich dazu verpflichtet, innerhalb bestimmter Fristen zu reagieren und über einen Antrag zu entscheiden. Notfalls hilft da die Rechtsabteilung des Unternehmens oder ein*e Rechtsanwält*in weiter.
Weihnachtsfeiern und Aktionen zum Teambuilding leisten einen wichtigen Beitrag zu einem guten Klima im Unternehmen. Umso wichtiger ist es, darauf zu achten, dass alle teilhaben können. So ist es zum Beispiel unabdingbar, ein barrierefreies Restaurant auszuwählen. Die Wheelmap.org, eine Karte für barrierefreie Orte, bietet die Möglichkeit, ganz einfach ein Restaurant oder eine andere barrierefreie Location zu finden.
7. Gibt es im Unternehmen die Möglichkeit, Diskriminierungen zu melden – ohne Angst vor negativen Folgen?
Weil wir alle Vorurteile haben, passieren auch Diskriminierungen – beabsichtigte und unbeabsichtigte. Um Diskriminierungen zu beseitigen und eine umfassende Inklusion zu ermöglichen, ist es unabdingbar, dass Diskriminierungen gemeldet werden. Unternehmen brauchen Prozesse, mittels derer diese mitgeteilt werden können, damit anschließend Lösungen gefunden werden. In vielen Unternehmen gibt es dafür bereits Personen oder Mitteilungsmechanismen. Es passiert dennoch auch immer wieder, dass diese Meldungen öffentlich werden oder sie negative Konsequenzen für die*den jeweilige*n Mitarbeiter*in mit sich bringen. Hier braucht es unbedingt ein sensibles Bewusstsein und die Einhaltung der Schweigepflicht und des Datenschutzes. Es ist wichtig, diese Arbeit auch als solche anzuerkennen und dementsprechend zu entlohnen. Denn Personen, die sich in einem Unternehmen für ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld einsetzen, sollten dies nicht in ihrer Freizeit tun. Auch wenn große und mittelgroße Unternehmen nach Paragraph 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verpflichtet sind, eine Beschwerdestelle zu haben, fühlen sich viele von Diskriminierung betroffene Menschen allein und erfahren keine Unterstützung. Auch hier können Schulungen für die Beschäftigten und Führungskräfte eine wichtige Präventionsmaßnahme für weitere Diskriminierung sein. Diskriminierung sollte als Thema in Betriebsversammlungen oder Teamsitzungen aufgenommen werden. Externe Referent*innen können dabei unterstützen, ein Diskriminierungsthema zu bearbeiten. Besonders wichtig ist jedoch, dass sich Mitarbeiter*innen, die Diskriminierung erfahren haben, sicher sind, dass der*die Arbeitgeber*in hinter ihnen steht und keine Diskriminierung duldet. Transparente innerbetriebliche Vereinbarungen können regeln, wie mit Diskriminierung umzugehen ist. So können bestimmte Maßnahmen festgelegt werden: Ein Vermerk in der Personalakte, die Um- oder Versetzung in einen anderen Bereich, aber auch Bußgelder oder Entlassungen sind möglich.
Fazit
Der Weg zur einer inklusive Gesellschaft ist für uns alle neu und manchmal auch anstrengend und nervend. Doch Inklusion ist keine Frage des Ob sondern des Wie. Denn Inklusion ist ein Menschenrecht und kein nettes Extra. Es gilt also eigentlich nur eine einfache Frage zu beantworten: Wann fangen wir an darüber nachzudenken, wie ein Arbeitsplatz für einen Menschen aussehen kann – und nicht der Mensch für den Arbeitsplatz?
Es lohnt sich, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Sie müssen diesen Weg nicht allein beschreiten. Holen Sie sich Unterstützung. Unser Partner JOBinklusive berät Sie gern.
Beitragsbild: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
Dieser Beitrag ist zuerst bei JOBinklusive erschienen und wurde im Rahmen unserer Kooperation für den Inklupreneur-Blog übernommen. Zum Original
JOBinklusive ist ein von der SKala Initiative gefördertes Projekt des Sozialheldinnen e.V. Mit Workshops, Leitfäden und Öffentlichkeitsarbeit will JOBinklusive zusammen mit anderen Akteur*innen dafür sorgen, dass viel mehr Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden.